Die letzten Jahre eines Agitators. Foto: WikimediaImages/Pixabay

Die letzten Jahre eines Agitators

Recherche in der Süddeutsche Zeitung

Der Publizist Paul Nikolaus Cossman verhalf einst den Ideen der Nazis zu Größe, bis er ihnen selbst zum Opfer fiel. Bevor er im Konzentrationslager umkam, verbrachte er im Schäftlarner Ortsteil Zell seine letzten Lebensjahre.

Im Herbst 1925 erregt der sogenannte Dolchstoßprozess am Münchner Amtsgericht Aufsehen: Der Angeklagte, der sozialdemokratische Journalist Martin Gruber, hat sich in der Münchener Post der Beleidigung und üblen Nachrede schuldig gemacht, lautet der Vorwurf des Klägers. Um persönliche Empfindsamkeiten geht es im Prozess aber nur vordergründig. Viel mehr bemühen sich Kläger und Angeklagter darum, die sogenannte „Dolchstoßlegende“ zu beweisen oder zu widerlegen.

Kläger und glühender Verfechter jener Dolchstoßlegende ist Paul Nikolaus Cossmann. Im Vorfeld der Reichstagswahlen 1924 versammelt er in den Süddeutschen Monatsheften Beiträge, die die Propagandageschichte zu einer historischen Tatsache machen sollen: Oppositionelle Kräfte in der Heimat hätten demnach den Kriegswillen der Deutschen geschwächt, die Soldaten hinterrücks „erdolcht“. Schuld an der Niederlage im Krieg seien liberale Demokraten, Kommunisten, Gewerkschaften, die SPD. Der Angeklagte Martin Gruber entstammt eben jener oppositionellen Seite, schreibt über die Süddeutschen Monatshefte von „Cossmannscher Geschichtsfälschung“ und vom „Dolchstoß-Lügenheft.“ Mit der Verurteilung Martin Grubers gibt das Gericht am Ende Paul Nikolaus Cossmann recht.